In der Hitze der Nacht by Ruth Gogoll

In der Hitze der Nacht by Ruth Gogoll

Autor:Ruth Gogoll
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: édition el!es
veröffentlicht: 2014-02-01T23:00:00+00:00


~*~*~*~

»Ich habe mit deinem Onkel telefoniert«, sagte Mar, während sie bei einem Kaffee im Biergarten des Gasthofes saßen. Hochgewachsene alte Bäume spendeten kühlen Schatten. »Ich habe den Eindruck, er möchte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.«

Tina schluckte. »Ich auch.«

Die tiefgrünen Blätter eines niedrigen Astes neigten sich leicht zu ihr, als wollten sie sie streicheln und trösten.

»Ich denke, wir müssen uns nicht lange hier aufhalten.« Mar betrachtete Tina mit einem aufmerksamen Blick. Schon auf der Fahrt hatte sie bemerkt, daß Tina immer stiller wurde, je näher sie dem Starnberger See kamen. »Und ich kann das alles immer noch für dich übernehmen, wenn es dir zuviel ist.«

»Dann hätte ich ja gar nicht herzukommen brauchen.« Tina zögerte, doch dann sprach sie weiter. »Vielleicht wäre das besser gewesen.«

»Dein Onkel meinte, daß deine Großmutter dich gern kennenlernen würde.« Mar beobachtete Tinas Reaktion genau.

»Meine … Großmutter.« Es war offensichtlich, daß diese Bezeichnung für Tina nicht vertraut war. »Wie sie wohl ist?«

Mar lachte leicht. »Meine beiden Großmütter sind sehr verschieden. Die Mutter meiner Mutter ist Bäuerin – beziehungsweise sie war es früher –, die Mutter meines Vaters hingegen ist eine richtige Stadtpflanze. Sie kann mit dem Leben auf dem Land nichts anfangen. Die beiden haben sich auch nie besonders gut verstanden.«

»Die Mutter meines Vaters werde ich wohl nie kennenlernen – ebensowenig wie meinen Vater selbst.« Tina atmete tief durch.

»Aber ist ein Teil der Familie nicht wenigstens besser als gar nichts?« Mar blickte fragend, und wieder zeigte ihr Ausdruck eine Besorgnis, die für eine Anwältin bezogen auf ihre Mandantin eher unangebracht schien.

»Es ist so oder so ungewohnt.« Tina schaute durch die Krone des Baumes in den Himmel hinauf, dann folgten ihre Augen einem Glitzern auf dem See und blieben an der Wasseroberfläche hängen. »Wie alles hier.«

»Es ist schön hier.« Mar sprach leise. »Ich liebe Wasser. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo zu leben, wo es kein Wasser gibt.«

»Ich habe schon an so vielen verschiedenen Orten gelebt«, Tina schüttelte nachdenklich den Kopf, »daß ich gar nicht sagen könnte, was mir besonders gefällt. Wir waren nie lange genug irgendwo.«

»Könntest du dir denn vorstellen, hier zu leben?« Mar hob die Augenbrauen.

»Hier?« Tina blickte sie sehr erstaunt an. »Am Starnberger See?«

»Warum nicht?« Mar lächelte. »Da leben, wo andere Urlaub machen.«

»Vielleicht hast du recht. Eigentlich ist es ja egal, wo man lebt.« Tina schaute erneut an Mar vorbei auf den See, auf dem einige kleine Boote Segel gesetzt hatten. »Wenn man keine Bindungen hat.«

Mar empfand die Verlorenheit, die Tina ausstrahlte, wie eine bedrückende Wolke, die den sonnigen Himmel verdunkelte. Sie hätte ihr gern geholfen, ihr gezeigt, wie schön das Leben sein konnte, aber sie wußte nicht, wie. Offenbar hatte Tina allen Lebensmut verloren. »Du hast keine … Bindungen in Bonn?«

»Nein.« Tinas Blick kehrte wie leer zu Mar zurück.

Mar fühlte, daß da etwas war, worüber Tina nicht sprechen wollte. Schon seit ihrer ersten Begegnung hatte sie sich gefragt, ob Tina in einer Beziehung lebte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Tina allein war. Sie war so eine süße Frau. »Dann wäre es vielleicht ein neuer Anfang.



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